By Thomas Nisters, Executive Director Health Care Practice Golin Deutschland
Welche Herausforderungen C-19 für die Kongresskommunikation von Pharmafirmen mit sich bringt. Und wie man ihnen begegnen kann.
Die Covid-19-Krise hat zu weit verbreiteten Absagen von medizinischen Kongressen geführt. Einige Veranstalter haben es geschafft, in relativ kurzer Zeit eine digitale Version zu inszenieren. Alles deutet darauf hin, dass sich unsere Welt nachhaltig verändert hat – und wir als Kommunikationsfachleute uns intensiver mit den Möglichkeiten digitaler Kongressaktivitäten auseinandersetzen sollten. Waren medizinische Kongresse seit Jahrzehnten ein Eckpfeiler jeder Produkteinführungs- und Markenführungsstrategie für die Pharmabranche, müssen wir uns von einem Moment auf den anderen Alternativen einfallen lassen. Gleichzeitig ergeben sich zusätzliche Herausforderungen, da die Vertriebsmannschaft keine (physischen) Arztbesuche vornehmen kann.
Back to normal? Oder: Business as unusual?
Wie lange wird das dauern? Absehbar sind schon jetzt Verschiebungen auf digitale Formate bis weit ins 4. Quartal. Bei allem Optimismus würde ich persönlich frühestens eher in der 2. Hälfte 2021 wieder mit physischen Kongressen rechnen – mit Glück. Und wahrscheinlich wird auch danach alles anders sein. Aus den erzwungenen Veränderung sollten wir Chancen machen. Auch wenn sich heute mehr Fragen stellen als es Antworten gibt, ist klar: wenn Pharmaunternehmen die Situation nicht sehr smart nutzen, riskieren sie den Markt über die Vorteile neuer Behandlungen nicht ausreichend aufklären zu können sowie Marktanteile und den Kontakt zu einer ihrer wichtigsten Zielgruppe, der Ärzteschaft, zu verlieren.
Virtuell belohnt die Wenigen
Der Vorreiter in Sachen Digital war in diesem Jahr der ACC.20 (American College of Cardiology), andere wie bspw. der AACR, EULAR oder EAACI folgten. Es lohnt ein Blick auf einige Details: obwohl der ACC 2020 nur ein geringfügig kleineres Programm hatte als 2019 war nur ein kleiner Teil des Programms (3%) live. Die Live-Sessions hatten eine beträchtliche Reichweite. So waren mehr als 6.000 Ärzte in den am meisten gestreamten Sitzungen angemeldet, und 38.000 persönliche Teilnehmer hatten sich gegenüber 16.000 in 2019 angemeldet. Die Nicht-Live-Sitzungen hatten jedoch Schwierigkeiten, Aufmerksamkeit zu erregen. Andere Konferenzen, z.B. der AACR, eine große Krebskonferenz, teilten ihre Veranstaltung in zwei Teile. Einer, der die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentiert, wurde im Mai virtuell veranstaltet, im Juni wurden die verbleibenden Abstracts und Präsentationen online veröffentlicht.
Wissenschaftliche Konversation findet auf Twitter statt
Ein wesentlicher Bestandteil einer Konferenz sind die persönlichen Gespräche rund um und in den Breakout-Sessions. Der ACC versuchte aktiv, diese Aktivität auf Twitter zu lenken, was damit zu einem de facto Ort für wissenschaftliche Gespräche wurde. Analysen von Affinity Data zeigen, dass die soziale Aktivität insgesamt geringer war als 2019, das Engagement pro Sitzung und pro Tweet im Jahr 2020 jedoch höher. Die Daten zeigen auch, dass einige hochkarätige KOLs sehr aktiv und motiviert waren. Andere Kanäle wie Youtube, LinkedIn und Sermo, das soziale Netzwerk für Ärzte, wurden ebenfalls genutzt, aber bei weitem nicht so häufig wie Twitter.
Überraschenderweise waren die meisten Unternehmen und ihre KOLs bei Twitter fast vollständig abwesend.
90 statt 3 Tage ist eine Gelegenheit.
Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse des ACC (und der nachfolgenden digitalen Kongresse) wurden 90 Tage lang kostenlos zur Verfügung gestellt. Das ist eine gigantische Chance: Ärzte können selber bestimmen, wann und wie viel Inhalte sie konsumieren. Sie müssen sich nicht mehr zwischen parallel stattfindenden Symposien entscheiden. Und Sie sparen erheblich an Reisezeit und -kosten.
Doch nur wenige Unternehmen scheinen diese Gelegenheit effektiv genutzt zu haben – sie fanden in digitalen Foren nur mit Ausnahmen statt.
Eines der wenigen gesponserten Symposien beim ACC.20 hatte mehr als 1.200 Aufrufe, deutlich mehr als Teilnehmer bei den üblichen physischen Industriesymposien. Einige Videos im virtuellen Ausstellungsraum fanden ebenfalls große Beachtung.
Native, ansprechende und Echtzeitformate können die Wirkung und Präsenz von Pharmaunternehmen erheblich steigern.
Was folgt daraus?
- Nichts wird wie früher. Je schneller wir uns an die neue Normalität gewöhnen und Kommunikationsmaßnahmen darauf ausrichten, desto besser.
- Digital ist keine Notlösung, sondern eine Chance. Probieren, lernen, anpassen und mutig sein – unsere Zielgruppen brauchen Informationen und Austausch.
- Gemeinsam mit den Kongressveranstaltern sollten wir digitale Formate entwickeln, die eine Präsenz von Pharmaunternehmen ermöglichen.
- Twitter ist auch und zunehmend ein Format für den wissenschaftlichen Austausch. Pharmaunternehmen sollten hier aktiver werden.