IHR ARZT IST NICHT ERREICHBAR?

30, Oktober 2020

BY THOMAS NISTERS, EXECUTIVE DIRECTOR HEALTH CARE PRACTICE, GOLIN DEUTSCHLAND

Dann sollten Sie nicht unbedingt die 112 wählen. Sondern Ihre Kommunikationsstrategie den veränderten Bedürfnissen anpassen.

Selten waren wir gezwungen, unser Verhalten als Kommunikatoren so schnell zu verändern (oder eher: anzupassen) wie in den vergangenen Monaten. Das gilt auch und besonders für die Pharmakommunikation. Seit Jahrzenten galt (und gilt teilweise noch) eine Trias als Goldstandard in der Pharmakommunikation: den Arzt über gedruckte Fachmedien, Kongresse und den Außendienst zu informieren. Fair enough, funktioniert ja. Das hat sich seit März grundlegend geändert.

Die face-to-face Kommunikation zwischen Arzt und Außendienst war maßgeblich beeinträchtigt, einige Ärzte hatten so gut wie keine Zeit sich mit Informationen von Pharmafirmen zu beschäftigen, andere hatten diese im Überfluss. Kongresse fanden nicht oder digital statt. Leider wird sich daran in absehbarer Zeit nicht viel zum Positiven verändern. Das hat viele von uns, sowohl auf Agentur – als auch auf Unternehmensseite, zum Nachdenken gebracht: wie vermittele ich jetzt meine Informationen? Einige aber haben auch Chancen gesehen – endlich kommt Bewegung in die tradierten Muster!

Plötzlich sind wir mit vielen Fragen konfrontiert. Wie komme ich an den Arzt ran? Wie informiert er sich? Was will er wirklich wissen? Wann, von wem? Wie offen ist der Arzt für eine Veränderung der Kommunikation? Und vor allem: wie lassen sich die veränderten Anforderungen in der Unternehmenskommunikation abbilden?

Fünf Ansätze, die bei der Antwort helfen können:

  1. Zuhören

Es wirkt banal und ist doch so effektiv. Heute haben wir mit social listening die Möglichkeit, in Echtzeit zu erfahren, was unsere Zielgruppe wirklich interessiert. Die Herausforderung besteht jetzt darin, daraus individuellen, relevanten Content zu generieren (Stichwort agenda surfing). Ganz nebenbei stellen wir fest, dass einige Ärzte abseits der üblichen Key Opinion Leader erstaunlich aktiv in den sozialen Medien unterwegs sind und auch digital eine intensive peer-to-peer Kommunikation existiert. Folgt: vom Zuhören lernen und auch digitale Opinion Leader nutzen.

  1. Inhalt

Ganz und gar nicht neu: jeder liest, was er oder sie interessant findet. Das ist beim Hausarzt nicht anders als bei jedem anderen Menschen auch.

Häufig bildet sich diese Erkenntnis noch nicht ausreichend ab und es wird kommuniziert, was man selber für relevant erachtet. Wir können und müssen Inhalte individualisieren (s.o.) und relevant gestalten. Und sie müssen zum richtigen Zeitpunkt für den Arzt verfügbar sein. Ergo: mehr vom Köder denken als vom Fisch. Denn letzterem muss er schmecken.

  1. Mix

Bei allem Enthusiasmus für digitale Kommunikationskanäle (ich bin ein Fan): Fakt ist, dass 71% der Fachärzte laut jüngster LA-Med gedruckte Fachzeitschriften intensiv nutzen und aufgrund dessen 91% neue Therapien auch in Erwägungen ziehen. Bezüglich Nutzung und Aktivierungsgrad führt an Print also kein Weg vorbei. Bei der online Nutzung liegen wir inzwischen aber schon bei rund 41%, seit Jahren steigend. Was auch daran liegen mag, dass rund 70% der Ärzte inzwischen digital natives sind (laut der Ärzteplattform colliquio). Ergo: beides zu nutzen macht Sinn, rein digital wird nicht funktionieren. Noch nicht zumindest, denn die Demographie macht auch vor Ärzten nicht halt.

  1. Multichannel

An colliquio, doccheck, Sermo und Figure1 gewöhnen wir uns so langsam. Etwas später als unsere Zielgruppe, häufig. Aber wie sieht es mit YouTube für die Fachkommunikation aus? Wieder laut LA-Med nutzen 51,3% der Fachärzte diesen Kanal für die berufliche Weiterbildung. Ebenso wie Podcasts und Webinare bietet dieses Medium durchaus das Potential, Dinge neu zu denken und an den Bedürfnissen unserer Zielgruppe neu auszurichten. Den Mutigen gehört die Welt.

  1. Silos

Last but not least. Wie viele Abteilungen kommunizieren in ihrem Unternehmen (oder bei ihrem Kunden) fachliche Inhalten gegenüber dem Arzt? Ich würde denken drei und mehr. Die PR über die Fachmedien, der Außendienst über Besuche und rep-triggered Mails, die nächste Abteilung bei Kongressen. Jeder produziert seine eigenen Inhalte. Was auch lange Zeit erfolgreich war. Doch jetzt wird das Feld dichter. Komplexe Inhalte müssen über Print und digital vermittelt werden, im Idealfall konsistent über alle Kanäle und Abteilungen hinweg. Hier liegt das Potential, durch ein silo-agnostisches Denken und Handeln Synergien und Mehrwert zu schaffen. Botschaften, die zeitlich und inhaltlich konzertiert vermittelt werden machen den Unterschied und Erfolg aus.

Fazit: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um die Fachkommunikation neu zu denken und mutig neue Dinge auszuprobieren. Mit ein wenig Innovationswillen lässt sich die Effizienz der Kommunikation deutlich steigern, eine deutliche Differenzierung zum Wettbewerb herstellen und die Gunst unserer Zielgruppe gewinnen.